Mount Ijen – nur einmal im Leben
Niemals haben wir so etwas zuvor oder danach erlebt. Einmalig. Faszinierend. Atemberaubend – das letzte aber vor allem deshalb, weil man wirklich keine Luft bekam. Doch eins nach dem anderen.
Es hat ja einen Vorteil, in westlichen Ländern zu reisen – es gibt Bestimmungen, die die allzu gefährlichen Gegenden für Touristen fernhalten. Und noch vielmehr gibt es Richtlinien, unter welchen Voraussetzungen überhaupt gelebt und gearbeitet werden darf. Und vor allem: Wann nicht. Diese Betrachtung wird bei der weiteren Erzählung von immenser Bedeutung.
Wir kamen gerade von der Besteigung des beeindruckenden Mount Bromo, um weiter östlich an den Rand der Insel Java zu gelangen. Hier, so sagten uns die ansässigen Indonesier, werden wir einen Vulkan sehen, wie wir ihn zuvor noch nie gesehen hätten. Den Ijen – ein Vulkan, in dessen Innern Schwefel abgebaut wird. Die Erzählungen klangen irre: Inmitten des Kraters befindet sich ein Säuresee, der knapp 1000 Meter lang, 600 Meter breit und nahezu 200 Meter tief ist.
Wir kamen am Fuße des Vulkans an und stiegen aus unserem Wagen. Seltsam still hier. Der Weg war problemlos zu gehen, recht eben war der Untergrund. Drei Kilometer geht es 500 Meter in die Höhe – und das in circa 90 Minuten. Nach einer Viertelstunde kommt es zur ersten Begegnung mit einem in der Schwefelmine arbeitenden Indonesier. Auf seinen Schulter trug er große geflochtene Körbe, die mit einer Rattanstange verbunden waren. Unübersehbar blitzten aus den Körben die großen Brocken Schwefel hervor. Es ist ein Vorgeschmack auf das, was jetzt noch kommt.
Schwefel und Hello Kittys
Auf der Hälfte des Weges war ein Haltepunkt. Einige Arbeiter haben ihre Körbe hier abgestellt, tranken und aßen etwas. Hier übernachten einige von ihnen – bis zu 30 Arbeiter schliefen hier in einem Raum, ohne Strom und Wasser. Die Stimmung war ruhig, es wurde kaum gesprochen. Man merkte, wie diese Arbeit den Menschen nicht nur körperlich, sondern auch psychisch nahe ging. Zweimal pro Tag gingen sie diesen Weg hoch und vollbepackt wieder runter – bis zu 90 Kilogramm auf ihren Schultern.
Es wirkte befremdlich, aber einige hatten einen portablen Laden dabei, um Andenken zu kaufen. Jedoch handelte es sich nicht um Postkarten, Halsketten oder Amulette – nein! Was hier verkauft wurde, war Schwefel. Purer Schwefel in verschiedensten Formen. Mal als Hello Kitty, als Schildkröte, Flugzeug, Herzen oder sonstiges. Ein ganz besonderes Andenken.
Nach kurzem Aufenthalt an den Baracken zogen wir weiter Richtung Gipfel des Vulkans. Es kamen uns immer mehr Arbeiter entgegen und auch andere Touristen bahnten sich ihren Weg nach unten. Auffällig viele hatten eine Gesichtsmaske auf. Auch uns wurde dies empfohlen und so trugen wir sie in unseren Taschen – noch sahen wir nicht den Grund, sie aufsetzen zu müssen.
Should I stay or should I go?
Als wir weiterzogen merkten wir, dass wir einen unruhigen Tag des Ijens erwischt hatten. Es wurde nebliger. Und Nebel bedeutet hier nicht, dass einem Dampf einfach nur die Sicht nimmt. Hier nimmt der Dampf einem den Atem. Niemand auf den Wegen lief mehr ohne Maske und die Stimmung wurde zunehmend bedrückender. Unglaublich zu sehen, dass die Arbeiter alle rauchten – wie hielten sie das aus? Es waren Nelkenzigaretten. Jene schmeckten wenigstens nach etwas, da die Arbeiter nach der monatelangen Arbeit ihren Geruchs- und Geschmackssinn komplett verloren.
Und hier waren wir nun. In der Vorhut des Höllenschlunds. Schritt für Schritt näherten wir uns dem Gipfel. Doch mit jedem Meter wurde das Atmen schwieriger – es fühlte sich so an, als ob man sich mit jedem Atemzug Gift in den Körper pumpt. Und es fühlte sich nicht nur so an – es war so. Wenn der Körper signalisiert: „Hör auf!“, dann sollte man auf ihn hören. Und es war kaum mehr eine Überlegung notwendig, da wir einfach partout nicht atmen konnten. Gar nicht. Also brachen wir nach zwei Drittel des Weges kurz ab und gingen ein paar Schritte hinab. Wir setzten uns und überlegten, warum wir das hier überhaupt machen.
Die Neugierde siegte. Wir waren jetzt schon hier, wir wollten nach oben. Auch wenn wir wussten, dass wir wohl ein paar Wochen Lebenszeit einbüßen müssten. Und so zogen wir die Maske enger und stiegen hinauf. Der Nebel wurde dichter und blauer, die Menschen auf dem Weg zurück suchten den Blickkontakt über den Masken. Wie kann man Touristen hierhin lassen? Und wieso geht man als Tourist dann wirklich hier hoch? Fragen, die kamen und gingen.
Blauer Dunst und gelbe Brocken
Denn dann war es geschafft. Wir waren oben angelangt. Unwirkliche weite Landschaften, neben und unter uns Nebel. Eigentlich würde man von hieraus den riesigen Säuresee inmitten des Kraters des Vulkans sehen. Doch keine Chance – die Schwefeldämpfe überlagerten alles. Eine kleine Treppe führte zum See hinunter. Unzählige Schilder auf dem Gipfel warnten vor der Lebensgefahr, die überall lauerten. Ein Ausrutscher auf dem Weg nach unten wäre der sichere Tod. Wenn einen der Aufprall nicht tötet, dann der toxische See.
Am Ende der Treppe befand sich der Zugang zur Schwefelmine. Ein bis zwei Stunden würde man in der Unterwelt des Ijen sein und die unwirkliche Realität der Schwefelminenarbeiter mitbekommen. Das Ganze für einen kleinen Obolus. Wir entschieden uns dagegen, war der Weg bis hierhin und das Geschehen hier oben für uns wirklich ausreichend an Eindrücken, die wir irgendwie verarbeiten konnten. Die Wolken am Himmel rissen auf und die Sonne schien auf den blauen Dunstnebel und die gelben Schwefelbrocken auf den Wegen. Man hörte nichts, man schmeckte nichts, man roch nur Schwefel.
An diesem Tag war es nicht möglich, den See zu sehen – viel zu dicht waren die Nebelwände des Vulkans. Wir waren froh, anders als die Arbeiter, einfach wieder bergab gehen zu dürfen. Als wir hinuntergingen, waren viele Arbeiter ebenfalls auf demselben Weg. Nach einigen Metern setzten sie immer ihre bis zu 90 Kilogramm schweren Körbe ab und wechselten die Schulter. Kaum einer ist über 1,60 Meter groß. Kaum einer wird älter als 40 Jahre alt. Doch verdienen sie das Vierfache von einem Feldarbeiter und sind gesellschaftlich hoch angesehen in den umliegenden Dörfern.
Die Dankbarkeit überwiegt
Und nett waren sie. Ausnahmslos alle – redeten mit einem auf gebrochenem Englisch, forderten auf zu fotografieren und wirkten schlichtweg gutmütig. Ein Wahnsinn für jeden von uns aus der ersten Welt, dies anzusehen. Beeindruckend und zugleich holte es einen auf den Boden der Tatsachen zurück. 70 Kilogramm bringen umgerechnet sieben Euro. Man darf das Rechnen nicht anfangen, wie lange man dafür in den westlichen Ländern arbeiten muss. Und unter welchen Umständen.
Unten angekommen waren alle sehr bedächtig. Kaum Worte wurden gewechselt, denn alle mussten noch die Eindrücke einordnen. Sowas gibt es auf der Welt. So arbeiten Menschen. So leben Menschen. Und wir erhielten einen Einblick – aber waren auch sehr dankbar in einer Umgebung leben zu dürfen, wo das soeben Erlebte nicht passieren dürfte. In unseren Büros muss der Abstand zwischen Schreibtisch und Schrank groß genug sein, sonst könnte es Probleme mit der Arbeitssicherheit geben. Hier atmen die Menschen 24 Stunden am Tag Schwefel ein und schleppen ihr doppeltes Körpergewicht auf der Schulter.
Fair ist das nicht. Das hat auch niemand gesagt. Und ändern können wir es direkt auch nicht. Aber wir nehmen es mit für unser weiteres Leben. Um uns auf den Boden holen zu können. Um dankbar zu sein. Und um an die vielen Menschen zu denken, denen es schlechter geht als einem selbst.
Was im Gedächtnis bleibt
- Diese unheimliche Angst zu ersticken, obwohl man atmet.
- Eine Tütennudelsuppe am Kiosk zu kaufen und wirklich zu genießen.
- Selfies mit Gesichtsmasken.
- Der Geruch von Schwefel.
- Die Erkenntnis, dass ein 20 Kilogramm schwerer Rucksack eine Wonne bedeuten kann.